„Fmksb Lblromrd“

Ein ortsgeschichtlich bemerkenswerter Fund aus Aufhausen

Von Hans Riederer

Nein, die Überschrift ist kein Druckfehler! So verschlüsselte ein Freund den wirklichen Namen des Verfassers einer Liederhandschrift, den derselbe darin aber mehrfach selber preisgibt: Jakob Eberhard. Seine Person und sein Werk verdienen genauere Betrachtung.

   Bei Umbauarbeiten in seinem Großelternhaus fiel Herrn Erwin Zink aus Aufhausen ein altes, ziemlich abgegriffenes Büchlein mit Eintragungen in der sog. „deutschen Schrift“ in die Hände. Bei genauerem Durchblättern stellte er fest, daß es sich dabei hauptsächlich um Liedertexte handelte. Der Familienname Eberhard, mit dem viele der Lieder unterschrieben waren, war ihm sofort geläufig. Es mußte sich dabei, dafür sprachen die angegebenen Jahreszahlen, um einen Vorfahren der Familie Josef Eberhard im benachbarten Paßhausen handeln.

Irgendwann später zeigte Herr Zink seinen Fund dem ihm als Volksmusik- und Brauchtumskenner bekannten Hans Riederer aus Enzerweis. Schon beim ersten Augenschein war zu erkennen, daß es sich hier um einen für die Erforschung der Volksmusik in unserem Raum wertvollen Fund handelte. Riederer setzte sich mit dem ihm befreundeten Volksmusikforscher Willibald Ernst aus Gangkofen in Verbindung. Dieser veranlaßte eine Kopie der Handschrift für das Volksmusikarchiv des Bezirks Niederbayern in Landshut. Anschließend machte sich Riederer daran, den gesamten Inhalt in die heutige Schrift zu übertragen. Das nicht mit Seitenzahlen versehene, ziemlich abgegriffene Büchlein hat ein Taschenbuchformat, zeigt deutliche Gebrauchsspuren, und fand bequem in den Taschen eines Soldatenrocks Platz. Jakob Eberhard hatte es nämlich während seiner Eichstätter Militärzeit in den Jahren 1894 – 1896 „zum Zeitverteiben“, wie er schreibt, angelegt. Zwar führte er es danach noch einige Jahre weiter, ursprünglich diente es aber dem persönlichen Gebrauch innerhalb und außerhalb des Dienstes als Soldat. Es kann demnach als privates Soldatenliederbuch bezeichnet werden. Dementsprechend enthält die Handschrift viele Soldaten- und Kriegslieder, daneben aber auch damals gängige Volks- und Gesellschaftslieder, von denen sich ebenfalls ein Teil zum Marschieren eignete, und einige codierte Botschaften und Widmungen.

Auch einer seiner Kompaniekameraden, Michael Meier, hinterließ seine Spuren, ein Beleg, dass man sich gegenseitig die Bücher zum Abschreiben und Ergänzen auslieh, sich zugleich aber auch im Ver- und Entschlüsseln von Texten übte.

LI_BU_009                        Abb. 1: Jakob Eberhard als Reservist (Ausschnitt)

Nach genauer Durchsicht enthält die Handschrift 57 Lieder: 20 Soldaten- und Kriegslieder, 6 Erzähllieder, 21 Gesellschaftslieder, 3 Wildererlieder, 2 berufsbezogene Lieder, 3 landschaftsbezogene Lieder, 1 erotisches Lied und ein Gstanzllied.

LI_BU_010                        Abb. 2: Erste Seite der Liederhandschrift (verkleinert)

Gleich der erste Liedeintrag „Die junge Margräfin“ überschrieben, verdient besondere Beachtung. Hier handelt es sich nämlich um eine seit mehr als vierhundert Jahren bis heute gesungene, weit verbreitete Ballade, in der sich ein junger Soldat auf ein Liebesabenteuer mit einer Markgräfin einlässt, und dafür am Galgen enden soll.

Unter den Soldaten- und Kriegsliedern sind besonders jene mit historischen Hintergrund intressant. Da geht es z.B. in dem Lied „Es kommt die längst gewünschte Stunde“ um den Russlandfeld Napoleons und um den Schlachtenort Leipzig (Völkerschlacht 1813).

Andere Kriegslieder beziehen sich auf österreichisch-italienische Kriege (1848), bzw. auf den deutsch-französischen Krieg 1870/71: „Bei Sedan wohl auf den Höhen“ oder „Gott schütze das Vaterland, Gott schütze den Rhein“. Den Rhein gegen den westlichen Nachbarn und „Erbfeind“ zu verteidigen, war damals die allgemein propagierte Meinung.

   Von den eingetragenen Wildschützenliedern leben einige bis heute in der Volksmusikpflege weiter, wie z.B. „Bin ein frischer Jäger“, das im Niederbayerischen Liederbuch von Huber/Simbeck, 1952, abgedruckt ist. Von den um 1900 gern gesungenen Gesellschaftsliedern besteht der Großteil nach heutigem Empfinden aus Heimatidyllen, Liebesschnulzen oder rührseligen Abschiedsliedern.

Die meisten Lieder trug Jakob Eberhard während der letzten Monate seiner Militärzeit ein. Offensichtlich wurde er hier vermehrt zum Wachdienst herangezogen, und hatte daher reichlich Zeit zum Aufschreiben der in der Kompaniegängigen Lieder. Gelegentlich datiert er seine Einträge und fügt hinzu: „Geschrieben zum Zeitvertreibn den zweiten Juni 1896. Parole 109 Tage“. Den mehrfachen Zeitangaben nach erfolgte Eberhards Entlassung am 20. September 1896. Er führte aber danach noch sein Soldatenbüchlein weiter. In diese Zeit fallen die Liedtexteinträge des Kameraden Michael Meier, der vermutlich, wie Eberhard, aus Bruck bei Neuburg/Donau stammte. In einer verschlüsselten Botschaft, die von Willibald Ernst decodiert wurde, bedankt sich dieser für das Ausleihen des Büchleins.

LI_BU_011            Abb. 3 Rest des Liedes Nr. 35 u. Anfang des Liedes Nr. 36

Mit drei Liedern setzte der Sohn „Jakob Eberhard junior“ im Oktober 1923 die Eintragungen fort. Neben den Liedern finden sich hier vierzehn, mit „Souvenir“ betitelte Verse, wie man sie einstmals ins Poesiealbum eintrug. Intressant ist ausserdem unter der Überschrift „Sais“ eine bruchstückhafte Tanzbeschreibung der „Francaise“

Mit der Übertragung und Inhaltsanalyse wollte sich Hans Riederer nicht zufrieden geben. Er forschte nach weiteren Zeugnissen über den Schreiber und ging der Frage nach, wie das Büchlein von Paßhausen ins vier Kilometer entfernte Haus Wimmer in Aufhausen gelangt sein könnte. Dank der Bereitwilligkeit aller Beteiligten kamen überraschende Foto- und Textdokumente zu Tage. Sie stellen zusammen mit der Handschrift einen wertvollen Fund dar, der es ermöglichte, die Herkunft und den Lebenslauf Jakob Eberhards zu rekonstuieren, sowie ein Persönlichkeitsbild zu zeichnen.
Jakob Eberhard wurde am 24. Juli 1874 in Bruck, Landkreis Neuburg a.d.Donau geboren. Gemeinsam mit fünf Geschwistern und drei Halbbrüdern aus der ersten Ehe seiner Mutter verbrachte Eberhard seine Kindheit auf dem elterlichen Anwesen in Bruck. Von 1881 bis 1888 besuchte er die „Werktagsschule“ und anschließend, bis 1891, die „Sonn- und Feiertagsschule“ im benachbarten Zell. 1894 wurde er zur Ableistung seines zweijährigen Militärdienstes zum 10. Infantrie-Regiment Prinz Ludwig, 2. Kompanie, nach Eichstätt einberufen. Am 2. Februar 1902, so besagt die standesamtliche „Heiratsurkunde“, führte er Anna Oggermüller aus Rosing in der Pfarrkirche Zell zum Traualtar. Zu dieser Zeit übernahm er wohl auch das elterliche Anwesen in Bruck.

LI_BU_012                        Abb. 4 Verlobungsfoto

Der Ehe entsprangen sechs Kinder, die später alle in der Umgebung von Landau a.d.Isar ansässig wurden. 1914, im Alter von nahezu 40 Jahren wurde Jakob Eberhard noch zum Kriegsdienst eingezogen, und machte den ganzen 1. Weltkrieg in voller Länge mit. Nach seiner Heimkehr führte er auf seinem Hof die Landwirtschaft weiter. Daneben engagierte er sich aber auch im öffentlichen Leben, und wurde sogar, als angesehener und untadeliger Bauer, als Schöffe ans Amtsgericht in Neuburg/Donau berufen.

LI_BU_016          Abb. 6 Familienfoto 1916, aufgenommen während eines Fronturlaubs

Was bewog nun diesen bodenständigen, durch seinen Besitz eigentlich ortsgebundenen Ökonomen, seine angestammte Heimat zu verlassen.

Die Gründe hierfür sind vielfältig. Einer davon war wohl der, daß die Felder in der Gegend von Bruck am Rande des Donaumooses, ganz besonders in regenreichen, nassen Jahrgängen, nicht leicht zu bewirtschaften waren. Dementsprechend waren auch die Erträge nicht immer optimal.

Zum Hof des Jakob Eberhard gehörten 49 ½ Tagwerk landwirtschaftlicher Grund. Der größte Teil dieser Felder war durch die ausgedehnten Waldungen des wittelsbachischen Gutes Rohrenfeld wom Hof getrennt. Es gab zwar eine Straße quer durch die fürstlichen Wälder, deren Befahren aber für die Bauern bei Strafe verboten war. Man mußte also mit dem Pferdefuhrwertk den Wald umfahren, so daß der Landwirt für die einfache Strecke rund 1 ¼ Stunden unterwegs war, um seine Felder zu erreichen – das ganze Jahr über ein riesiger Zeitaufwand nur für die An- und Rückfahrten.

Wahrscheinlich übte auch Eberhards ältester Sohn Josef seinen Einfluß aus, sich andernorts landwirtschaftlich ansässig zu machen. Dieser hatte auf dem landwirtschaftlichen Mustergut des Prinzen von Baden in Salem am Bodensee praktiziert, und dabei die damals moderne Landwirtschaft kennengelernt. Die diesbezüglichen Ansichten seines Sohnes fanden beim Vater, der selbst fortschrittlich dachte, immer mehr Gehör.

Den eigenen Hof in der Neuburger Gegend zu vergrößern war nicht möglich. Durch einen Grundstücksmakler wurde Eberhard schließlich auf den „Kruckenhuberhof“ in Paßhausen, damals Gemeinde Rengersdorf, im niederbayerischen Vilstal aufmerksam gemacht, der zum Verkauf anstand.

Am 27. Dezember 1927 wurde im Notariat in Landau/Isar der Kauf verbrieft, und im Februar 1928 erfolgte der Umzug. Neben seiner Frau und den sechs Kindern kamen noch die Schwester seiner Frau, Johanna Oggermüller und deren Töchterchen Auguste (Gusti) mit ins Niederbayerische. In einem eigens bestellten Eisenbahnwagon wurden die transportablen landwirtschaftlichen Gerätschaften verstaut, und über Ingolstadt, München und Landau/Isar ging die Bahnfahrt schließlich zur Endstation, dem damaligen Bahnhof Aufhausen.

     In Paßhausen warteten die Felder bereits auf die Bewirtschaftung, so daß die Familie Eberhard in ihrer neuen Heimat schnell heimisch wurde. Durch Fleiß und Sachverstand brachte sie innerhalb weniger Jahre den abgewirtschafteten Hof wieder in die Höhe, und bald hatte sich der „Zuagroaste“ ein hohes Ansehen verschafft.

Wie schon erwähnt war Jakob Eberhard ein fortschrittlicher Bauer. Darum war eines seiner ersten Bestrebungen, daß sein neuer Heimatort mit elektrischem Strom versorgt würde. Obwohl die Nachbarn diesem Vorhaben des „Neu-Passhauseners“ zunächst skeptisch gegenüber standen, brannte bereits Ende 1928 auch in Paßhausen elektrisches Licht. „Praktisch is’s scho, des Elektrisch“, soll damals eine Nachbarin gesagt haben, „do drahst amoi, nochan brinnt s’Licht, und drahst nomoi, nochan is’s wieder aus“, und beschrieb damit die Funktion des früher üblichen Drehschalters.

     Etwas überraschend, nach kurzer, schwerer Krankheit verstarb Jakob Eberhard am 14. Juni 1934 mit sechzig Jahren. Der Zeitungsnachruf würdigte ihn als Musterwirtschafter, charakterfesten Bauern, ehrlich und rechtschaffen, und als guten Gesellschafter und stets friedlichen Nachbarn.

Der Eberhard-Hof zu Paßhausen wird heute in der dritten Generation von Enkel Josef Eberhard in ebenso vorbildlicher Weise bewirtschaftet und geführt.

Aber wie war nun das Liederbüchlein nach Aufhausen gekommen ? Vermutlich, so Josef Eberhard, hat die Nichte des Schreibers, Gusti Oggermüller, in den 1930er Jahren das Büchlein der Liedtexte wegen zum Singen im Familien- und Freundeskreis nach Aufhausen mitgenommen. Dazu muß man wissen, daß das heutige Haus Wimmer/Zink, in der Ostergasse, bis zum zweiten Weltkrieg und auch noch danach eine Schusterei beherbergte, beim „Wimmer-Schuster“, so der Hausname. Nach Erzählungen von Zeitzeugen traf man sich dort gern zum „Hoagartn“. Dabei wurde gelegentlich auch getanzt und gesungen, wobei man sich sicher der Liedtexte aus dem „Eberhard-Büchlein“ bediente. Nach dem zweiten Weltkrieg hörten sich die geselligen Zusammenkünfte auf, das Büchlein geriet in Vergessenheit und kam, wie oben angeführt, erst im Jahr 2011 wieder „ans Tageslicht“.

Liederbuch, Fotos und sonstige Schriftdokumente geben ein interessantes Detail Passhausener Ortsgeschichte wieder. Daß der gesamte Fundbestand nicht schon längst als „altes Glump“ in der Mülltonne gelandet war, ist den Familien Zink und Eberhard zu verdanken. Sie besitzen jenes Feingefühl, das man gegenüber früheren Generationen bewahren sollte. Sicher lagern derartige Schriften und Gegenstände auch noch in anderen Häusern. Sie wären wertvolle Mosaiksteine für die Erhellung der Heimatgeschichte. Statt sie achtlos zu entsorgen, wäre es ratsam, sie dem Volksmusikarchiv des Bezirks Niederbayern in Landshut zur Verfügung zu stellen oder als Leihgabe beim Heimatmuseum, z.B. in Landau, zu deponieren. Dafür aufgeschlossene, ortsbekannte Fachleute helfen gern bei der Wahl des geeigneten Aufbewahrungsortes.

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3 Gedanken zu „„Fmksb Lblromrd“

  1. Hallo Markus,
    einen herzlichen Dank für die Veröffentlichung dieses Fundes. Es ist ein interesanter Einblick in die damalige Zeit.

    Josef Eberhard ,sen

  2. Ein sehr schöner und wertvoller Beitrag zu einer Ahnenforschung für die Nachkommen der Familien Oggermüller und Eberhard. Eine gelungene Dokumentation, sehr empfehlenswert für die Nachkommen!

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